Becks kultige Tube Map

Serie „Typen von Karten und Kartenproduktionen“

Denkt man an Kartentypen, so fallen einem diverse Kategorien ein, nach denen eine Einteilung erfolgen kann. Je nach Datenpräsentation, Maßstab, Thematik, Nutzergruppe, Herausgeber der Karte usw. unterscheidet man zum Beispiel zwischen interaktiven Karten, Weltkarten, Stadtplänen, Wanderkarten, geologischen Karten, Wetterkarten oder historischen Karten. Dieser Blog gibt bereits einen ausführlichen Überblick über diverse Kartentypen, wie historische Karten, Karten an der Schnittstelle zur Kunst, Kartogramme etc. In dieser Serien wollen wir daher ganz speziell drei besondere Kartentypen behandeln, die allgegenwärtig und nicht wegzudenken sind. Wir beginnen unsere Serie mit der Tube Map von H.C. Beck, dem Liniennetzplan der Londoner Underground, der einen Kultstatus einnimmt und behandeln danach Cluster Karten und Flow Karten.

Es gibt eine Karte, die als Ikone in die Geschichte einging und damit diverse schematische Liniennetzpläne, die wir heute verwenden, nachhaltig geprägt hat: Die Tube Map von Harry Beck.

Becks Tube Map fand nach anfänglicher Skepsis große Beliebtheit und wurde schließlich 1933 als regulärer Liniennetzplan vom damaligen The London Passenger Transport Board (heute Transport for London (TFL)) eingesetzt. (© Transport for London)

Abb. 1: Becks Tube Map fand nach anfänglicher Skepsis große Beliebtheit und wurde schließlich 1933 als regulärer Liniennetzplan vom damaligen The London Passenger Transport Board (heute Transport for London (TFL)) eingesetzt (© Transport for London). Eine größere Abbildung finden Sie hier.

 

Harry Beck (*1902, †1974) war als technischer Zeichner bei London Underground tätig, zu einer Zeit als Liniennetzpläne noch topografisch richtig, also entsprechend der Geografie, dargestellt wurden. Meistens wurden die Linien auf einem Stadtplan eingezeichnet, wie dieser Überblick über historische Liniennetzpläne von London zeigt. Becks Annahme war, dass topografische Lagetreue bei Liniennetzplänen nicht zwangsläufig notwendig sei, nur die Topologie, die räumliche Beziehung zwischen den Stationen untereinander, sei entscheidend. Er löste sich somit von der Vorstellung, dass in U-Bahn Plänen die unterirdische Geografie direkt mit der überirdischen Geografie verbunden sein müsse. Daher konzentrierte er sich bei seinem Entwurf eines neuen Liniennetzplanes 1931 auf die wesentlichen Elemente, die zur Orientierung und Fortbewegung im unterirdischen London notwendig sind: Linien und Stationen, sowie Umsteigemöglichkeiten. Durch hohe Abstraktion schuf er so eine sehr übersichtliche Darstellung, in der keine unnötigen Symbole ablenken. Die Linien verlaufen in einem regelmäßigen Muster entweder horizontal, vertikal, oder in einem diagonalen 45°-Grad-Winkel, was ihn zum Wegbereiter moderner Streckenpläne machte. Da die Stationen im Zentrum nahe beieinander und in den Vororten weit auseinander liegen entwickelte er eine schematische Darstellung, in welcher der Abstand zwischen den Stationen gleichmäßig und ähnlich groß ist (Abb. 1), was zusätzlich eine Ordnung und dadurch Überblick schafft, um den Nutzern ein nutzerfreundliches Hilfsmittel zur effizienten Fortbewegung zur Verfügung zu stellen (Abb. 2).

Die Ähnlichkeit von Becks Darstellung mit einem elektrischen Schaltplan ist unverkennbar und mit Blick auf Becks Beruf als technischer Zeichner auch nicht überraschend. Becks Darstellung war zwar eine Innovation, dennoch war er nicht der einzige, der eine abstrahierte Darstellung vorschlug, der Berliner Liniennetzplan von 1931 verfolgte ein ähnliches Konzept. Dieser war allerdings nicht so klar im Design, da wesentlich mehr Symbole verwendet wurden.

Abb. 2: Die Tube Map von 1926 wirkt im Vergleich zum schematischen Liniennetzplan von Beck unübersichtlich (© Transport for London).

Abb. 2: Die Tube Map von 1926 wirkt im Vergleich zum schematischen Liniennetzplan von Beck unübersichtlich (© Transport for London).

 

Nicht jeder war anfangs von Becks Entwurf überzeugt. Nach einem Testlauf mit geringer Auflage jedoch fand Becks Tube Map großen Zuspruch und wurde im Jahr 1933 von The London Passenger Transport Board (heute Transport for London (TFL)) veröffentlicht und war mit einer Auflage von 850.000 Stück in den ersten zwei Monaten ein großer Erfolg. Seither wurde die ursprüngliche Version mehrfach überarbeitet, die Grundzüge blieben aber auch in der aktuellen Version bestehen.

Obwohl die Klarheit der abstrahierten Darstellung ein Vorteil ist, sollte nicht unbeachtet bleiben, dass es durch diese Verzerrung eine Beeinflussung der Wahrnehmung von Städten geben kann. Visualisiert wird solch eine Verzerrung zwischen abstrahiertem Netzplan und der Geographie z. B. im Projekt Shanghai Metro Flow von Till Nagel und Benedikt Groß. Dabei wird die Animation der Shanghaier Züge entlang der geographischen Originalrouten mit einer Animation der Züge entlang des Liniennetzplanes gemorpht. Die große Verzerrung wird dadurch deutlich, ebenso wie im Projekt Metrography von Benedikt Groß, in dem eine Karte von London entsprechend der aktuellen Tube Map verzerrt wurde.

Für die schematische Darstellung eines Liniennetzplans des öffentlichen Verkehrs gab es bisher keine Standardisierung, alle Beispiele bedienen sich mehr oder minder am Schema Becks. Ein aktueller Versuch einer Standardisierung stammt vom jungen Architekten Jug Cerovic, der den Metro Mapping Standard INAT definiert hat und auf dieser Basis für diverse Städte aktualisierte U-Bahn-Liniennetzpläne veröffentlicht hat, auch für London (Abb. 3).

Abb. 3: Der U-Bahn-Liniennetzplan von London nach dem Metro Mapping Standard INAT (©INAT, Jug Cerovic).

Abb. 3: Der U-Bahn-Liniennetzplan von London nach dem Metro Mapping Standard INAT (©INAT, Jug Cerovic).

 

Mittlerweile ist die Darstellung von Beck zu einer Ikone geworden, die mannigfach für diverse Zwecke „ausgebeutet“ wurde. Ein Artikel in The Cartographic Journal von Field und Cartwright (2014) mit dem Titel Becksploitation: The Over-use of a Cartographic Icon (freier Preprint, Kens Blogeintrag) behandelt dieses Thema ausführlich und bietet einen Überblick über diverse Darstellungen, die Becks Werk zum Vorbild hatten oder imitieren. Field und Cartwrights Arbeit kulminiert in einer „tube map of tube maps“, der End of the Line. Diese ist das Endprodukt einer Analyse von über 200 Karten und ordnet die Karten entlang der Tube-Linien nach Kategorien wie künstlerisch, satirisch oder Werbung etc.

Aufgrund der hohen Abstraktion und der Verzerrung wurde in der Vergangenheit die Frage aufgeworfen, ob Becks Liniennetzplan denn überhaupt eine Karte und nicht vielmehr ein Diagramm sei. Cartwright (2012) ging dieser Frage nach und befragte die kartografische Community. Von insgesamt 66 Antworten lauteten 37 auf Karte. Als Gründe wurden u. a. die Abbildung der räumlichen Beziehungen oder die Struktur und Ordnung der Information nach deren räumlicher Komponente genannt. Dieser Ansicht schließt sich die Autorin an und sieht in Becks Darstellung eine schematische Karte. Wie auch immer, unumstritten ist, dass diese Darstellungsart heute noch ein effizientes und handliches Kommunikationsmittel ist. (BW)

 

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