Der Diercke Weltatlas

Serie „Die technische Entwicklung der Karten- und Atlasproduktion“
Aufgrund ihrer Wichtigkeit in Wirt- und Wissenschaft haben kartographische Produkte von je her einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert. So ist es nicht verwunderlich, dass bei ihrer Herstellung und Reproduktion häufig auf den „State of the Art“ der jeweiligen Technik zurückgegriffen wurde. In der Serie „Die technische Entwicklung der Karten- und Atlasproduktion“ werden anhand mehrerer ausgewählter Atlanten die jeweils eingesetzten Vorgehensweisen und Techniken skizziert.

„Der Diercke“ ist im deutschsprachigen Raum als Schulatlas weit verbreitet und bekannt. Er ist wohl oft der erste Atlas, wenn nicht manchmal sogar das erste „richtige“ Kartenwerk, mit welchem Kinder in Berührung kommen. Seine Geschichte wird hier als Beispiel für den Übergang von traditioneller Atlantenfertigung zur digitalen Technik unserer heutigen Zeit vorgestellt.

Karte der Britischen Inseln in der Ausgabe von 1891 [Georg-Eckert-Institut - Leibniz-Institut für internationale Schulbuchforschung ]

Karte der Britischen Inseln in der Ausgabe von 1891 [Georg-Eckert-Institut – Leibniz-Institut für internationale Schulbuchforschung ]

Carl Diercke erarbeitete die erste Ausgabe des „Schul-Atlas über alle Teile der Erde“ Ende des 19. Jahrhunderts aus dem eigenen Interesse seinen Erdkunde-Unterricht bestmöglich zu unterstützen. Inhaltlich zeigte der Atlas topographische und thematische Übersichtskarten. Als besondere Neuheit wurden kleine Nebenkarten eingeführt, welche zum Beispiel Stadtkerne in einem höheren Maßstab zeigten als ihre übergeordneten Übersichtskarten.

Als Grundlage dienten zunächst Handskizzen Dierckes auf Basis amtlicher Karten, welche in Zusammenarbeit mit dem befreundeten Kartographen Eduard Gaebler angefertigt wurden. Gaebler war auch als Lithograph an der Fertigung beteiligt: Die Übertragung der Karten auf Drucksteine erfolgte mit der von ihm entwickelten Pantatypie, einem im Vergleich zum Kupferstich schnelleren, billigeren und allem nachhaltigeren Verfahren. Im Steindruckverfahren wurde der Atlas dann 1883 vom Westermann-Verlag vervielfältigt.

In den folgenden Jahren etablierte sich der Diercke-Atlas erfolgreich im Schulwesen. So findet sich im Vorwort der Ausgabe von 1891 folgendes Zitat:

Die K. Kultministerial-Abteilung hat mit Interesse von dem Schul-Atlas von Diercke und Gaebler Einsicht genommen und in demselben ein brauchbares, in mancher Beziehung die vorhandenen Atlanten übertreffendes Lehrmittel gefunden. An Ausnutzung des Raumes, an Reichhaltigkeit der namentlich auch durch Nebenkärtchen vermehrten Darstellungen, an Deutlichkeit der Zeichnung, welche besonders die Gebirge heraustreten lässt, und an Sauberkeit des Gesamtbildes dürfte der vorgelegte Atlas keinem anderen nachstehen.
K. Kult.-Ministerial-Abteilung für Gelehrten- und Realschulen.

Viele Neuauflagen und mehrere Überarbeitungen folgten bis heute. Es ist natürlich unmöglich hier jede einzelne technische und inhaltliche Neuerung vorzustellen, daher soll die Ausgabe von 1974 als beispielhafter Schritt zwischen der Erstausgabe und heute dienen.

Cover des Diercke Weltatlas von 1974  [CC BY-SA 4.0, Janbird03, via Wikimedia Commons]

Cover des Diercke Weltatlas von 1974 [CC BY-SA 4.0, Janbird03, via Wikimedia Commons]

Nach den vielseitigen gesellschaftlichen Umbrüchen der 1960er Jahre wurde die Sozialgeographie als wichtiges neues Thema begriffen und mit entsprechend thematisierten statistischen Karten eingebunden. Bei der Auswahl der Inhalte des Atlas beteiligten sich Berater verschiedener Schulen und Universitäten. So dienten neben einschlägiger Fachliteratur teilweise auch mit Kugelschreiber auf amtlichen Karten notierte Informationen von Geographie-Professoren als Grundlage für Kartenänderungen.

Die Karten wurden dabei zunächst von Hand mit Tusche entworfen und dann per Foliengravur für den Druck aufbereitet. Die gedruckten Exemplare wurden erstmals im CMYK-Druckverfahren vervielfältigt. In der 1974er Ausgabe wurde auch das Erscheinungsbild der physischen Karten überarbeitet, welches bis heute als Westermann-typischer Stil weiter verwendet wird.

In den 90er Jahren hielten Computer nach und nach auch als Werkzeuge in der hauseigenen Kartographie Einzug. Heute werden die Karten ganz selbstverständlich digital mithilfe moderner GIS-, Kartographie- und Grafiktechnik hergestellt. Die Verwaltung der Daten erfolgt nun in GIS- und FIS- (Fachinformations-) Systemen. Die Anfertigung digitaler Produkte für die Endkunden ist damit naheliegend und so werden neben einer brandneuen, digitalen Version des Atlas unter anderem auch ein „3D Globus“ sowie ein Web-GIS für weiterführende interaktive Explorationen angeboten.

Die Neubearbeitung des Weltatlas 2015 wird mit „Die Trends des 21. Jahrhunderts: Nachhaltigkeit, Energie, Mobilität, Ressourcen uvm.“ beworben. Inhaltlich werden neben den grundlegenden Themen auch aktuelle Angelegenheiten wie etwa das „Land Grabbing“, der Land-Erwerb in Entwicklungsländern durch internationale Akteure erläutert oder die Produktionsketten von modernen Konsumgütern dargestellt. Die Auswahl dieser Themen geschieht weiterhin in enger Zusammenarbeit mit Fachleuten und den Lehrenden selbst.

Die Veränderungen des Diercke Weltatlas sind ein Beispiel für den umfangreichen Wandel in der Kartographie über die Jahre. So hat der technische Fortschritt fast jeden Aspekt grundlegend verändert. Weder die Datenerhebung/-sammlung noch die Fertigung haben heute noch viel mit dem Damals zu tun.

Wir möchten dem Westermann-Verlag herzlich für die spontanen und umfangreichen Auskünfte danken! Und da dies ja natürlich keine Werbung sein soll, hier der Hinweis, dass auch die Konkurrenz schöne und nicht minder gute Atlantenwerke vertreibt, etwa der Haack Weltatlas vom Ernst Klett Verlag oder die diversen Atlanten des Cornelsen Verlags. Der Fokus auf „den Diercke“ ist einzig im Interesse des Autors begründet.

Weiterführende Links:
„125 Jahre Diercke Weltatlas“ von geschichtspuls.de
Die Ausgabe von 1891 als Scan
Der neue Diercke Weltatlas auf diercke.de
Die Geschichte des Diercke Weltatlas auf diercke.de (benötigt Adobe Flash)
Viele Karten des Diercke Atlas als Online-Vorschau auf diercke.de (Achtung, viele Bilder!)